
Unter Strom: Der Oberleitungsbus von Hoyerswerda
Wenn man an Oberleitungsbusse denkt, fallen einem meist Städte wie Solingen oder Eberswalde ein. Doch auch Hoyerswerda – eine Stadt, die sonst eher für Plattenbauten, Braunkohle und Strukturwandel steht – schrieb einst ein ganz eigenes Kapitel Elektromobilität. Und das begann auf ganz besondere Weise: Mit dem Start eines komplett neuen O-Bus-Systems im Jahr 1989 – mitten im Herbst der DDR.
Von der Kohle zur Kupferleitung
Spulen wir zurück: Ende der 80er-Jahre war Öl knapp, teuer und politisch heikel. Die DDR wollte unabhängiger von Importen werden – und entschied sich, im öffentlichen Nahverkehr verstärkt auf Strom zu setzen. Strom aus Braunkohle, wohlgemerkt. Neben Straßenbahnen galten O-Busse als moderne Lösung: sauber, leise, zuverlässig. So entstand in Hoyerswerda das letzte neu gebaute Oberleitungsbus-Netz der DDR – und bis heute das jüngste in ganz Deutschland.
Die Planung war ambitioniert: Die Neustadt Hoyerswerda – also das Plattenbaugebiet nördlich der Altstadt – sollte elektrifiziert werden. Die erste Linie nahm am 8. Oktober 1989 den Betrieb auf, einen Tag vor dem 40. Geburtstag der DDR. Sie führte vom damaligen Busbahnhof am Lausitzer Platz bis zur Wendeschleife „Am Ehrenhain“ – mitten durch die Neustadt, entlang der großen Magistrale.
Ein Netz mit Lücken
Das Streckennetz war zwar neu, aber nicht komplett: Es bestand aus zwei Hauptlinien. Die eine verlief vom Depot an der Schwarzheider Straße quer durch die Neustadt bis zur Endhaltestelle „Am Ehrenhain“, nahe dem Waldrand. Die zweite Linie erschloss das Wohngebiet Seidewinkel im Norden. Am westlichen Ende, an der Bonhoefferstraße, entstand eine große Wendeschleife mit Umsteigemöglichkeit auf Dieselbusse – denn in die Altstadt selbst führte keine Oberleitung. Diese Trennung war markant: Wer aus der Neustadt zum Bahnhof oder ins Zentrum wollte, musste umsteigen. Die sprichwörtliche „Obus-Mauer“ mitten in der Stadt.
Insgesamt kamen etwa 20 Kilometer Oberleitung und über 600 Oberleitungsmasten zum Einsatz – teils aus Beton, teils aus Stahl. Und obwohl der Ausbau weit fortgeschritten war (es gab sogar eine fertige Fahrleitung zum Waldfriedhof Kühnicht), blieb manches Stück ungenutzt – der politische Umbruch kam dazwischen.
Ungarischer Klassiker mit Stromabnehmer
Die Fahrzeuge selbst waren echte DDR-Klassiker: der Ikarus 280.93, ein ungarischer Gelenkbus, umgebaut zum Oberleitungsbus. Insgesamt 12 dieser Fahrzeuge waren in Hoyerswerda im Einsatz – mit Stromabnehmern auf dem Dach, angetrieben mit 600 Volt Gleichstrom aus einem eigens errichteten Umspannwerk in Kühnicht. Wer damals damit fuhr, erinnert sich: das leise Surren beim Anfahren, das sanfte Beschleunigen, das Sirren der Drähte über dem Bus.
Technisch waren die O-Busse solide, aber der Betrieb hatte auch seine Tücken: Die Fahrzeuge konnten nur unter den Oberleitungen fahren, Batterien oder Hilfsantriebe gab es nicht. Ein Umfahren von Baustellen? Fehlanzeige. Und im Winter gab’s schon mal Probleme mit der Fahrleitung.
Plötzlich ausgebremst
Nach der Wende kam schnell die Ernüchterung. Die Stadt schrumpfte, der Verkehr wandelte sich, und der Wartungsaufwand für das O-Bus-System war hoch. Vor allem aber war das Netz nicht durchgängig – viele Strecken mussten weiterhin mit Dieselbussen gefahren werden. Schon 1993 wurde die Hauptlinie auf Dieselbetrieb umgestellt, Ende 1994 fuhr der letzte O-Bus durch Hoyerswerda. Die Masten blieben noch eine Weile stehen, doch das Kapitel war beendet. Nur die O-Bus Mauer an der Wendschleife der Dietrich-Bonhoeffer-Straße erinnert heute noch offiziell an die kurze Ära des elektrischen Stadtverkehrs.
Obus vs. E-Bus – und was die Zukunft bringen könnte
Die Idee des emissionsfreien Nahverkehrs ist heute aktueller denn je – nur die Technik hat sich weiterentwickelt. Und genau hier lohnt sich ein Vergleich:
Merkmal | Obus (1989–1994) | E-Bus (heute) |
---|---|---|
Antrieb | 600 V Gleichstrom über Oberleitung | Akku-basiert (z. B. Lithium-Ionen) |
Infrastruktur | Dichte Oberleitungen + Unterwerk | Ladesäulen oder Depotlader |
Reichweite | Unbegrenzt – solange Draht vorhanden | Ca. 150–250 km pro Ladung |
Flexibilität | Nur unter Leitung fahrbar | Voll flexibel |
Wartung | Aufwendig (Fahrleitungspflege) | Akku-Management & Software |
Energiequelle | Braunkohlestrom | Oft Ökostrom |
Moderne E-Busse bieten den Vorteil, keine Fahrleitung zu benötigen. Das macht sie flexibler, wartungsärmer und auch günstiger im Betrieb – besonders in Städten, die wie Hoyerswerda keinen dichten Taktverkehr mehr haben. Seit einigen Jahren testet die Verkehrsgesellschaft Hoyerswerda wieder Elektrobusse im regulären Linienbetrieb – diesmal mit Batterie. Ein E-Citaro von Mercedes war bereits auf Tour durch die Neustadt, und weitere Tests sind geplant.
Spannend: Was heute „E-Bus“ heißt, war damals im Grunde schon da – nur eben mit Draht statt Akku. In gewisser Weise war Hoyerswerda seiner Zeit voraus. Der O-Bus war nicht nur eine technologische Antwort auf die Energieprobleme der DDR, sondern auch ein Symbol für Aufbruch – wenn auch einer, der nach nur fünf Jahren ausgebremst wurde.
Aber wer weiß: Vielleicht fahren in naher Zukunft wieder lautlos summende Busse durch die Stadt. Nur diesmal eben ohne Stromabnehmer.